+++ Überlebender und Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt kritisieren die Befragung +++ Fragen richteten sich gegen Überlebenden anstatt Ermittlungsfehler+++ Kein traumasensibler Umgang mit dem Überlebenden rechten Terrors
„Ich habe mich zum Teil wie ein Schuldiger gefühlt“, berichtet Mehmet O. der Überlebende des ersten bekannten NSU-Bombenanschlags. Er war am Montag, den 24.10.2022 als Zeuge vor dem zweiten bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss geladen. Zwar bedankt sich der Überlebende für die Anerkennung als NSU-Opfer, aber die Verletzung nach der in weiten Teilen unempathisch bis aggressiven Befragung bleibt. Unter Tränen verlässt Mehmet O. nach über drei Stunden die Sitzung. Auch für Zuschauer bleibt ein Gefühl wie in einer Zeitschleife: Täter-Opfer-Umkehr, schon wieder, 23 Jahre nach dem sogenannten Taschenlampen-Attentat des NSU am 23.06.1999.
„Phasenweise erlebten wir ein Verhör ohne Verständnis für einen damals 18-Jährigen, der einen Anschlag überlebte und verdächtigt wurde“, kritisiert Patrycja Kowalska, Betroffenen-Beraterin für Mehmet O., die Befragungsweise des Ausschusses. Statt den Überlebenden mit Empathie zu begegnen, beharrten Ausschuss-Mitglieder auf Widersprüchen zwischen seinen Aussagen, die jeweils im Abstand von einem Jahrzehnt lagen.
Rechtsanwalt Engin Sanli sagt: „Wie sollen Fragen zu verwandtschaftlichen Beziehungen, zu den bekannten Pachtverhältnissen der Bar „Sonnenschein“ oder aggressive Nachfragen bei Erinnerungsunterschieden des Überlebenden helfen Aufklärung zu leisten im Hinblick auf die Täterschaft des NSU-Netzwerks oder der folgenreichen Ermittlungsfehler? Denn genau dies – das Aufdecken von Fehlern der Behörden – ist die Aufgabe eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.“
Unmittelbar vor Mehmet O.‘s Zeugenaussage waren vier der Polizisten des BKA und LKA geladen, die mit den Ermittlungen um den Anschlag betraut waren. Durch die Ladung der Polizisten vor der Aussage Mehmet O.s konnten dessen Berichte über rassistische Täter-Opfer-Umkehr den Polizisten nicht vorgehalten werden. Ihre Befragung verlief kaum konfrontativ. So blieb es meist bei blockierenden Antworten oder Verweisen wie „Damit war ich nicht betraut.“
Mehmet O. hingegen machte unmissverständlich deutlich, dass die Form der Aufklärung durch die Beamten für ihn nicht genügte. „Nach 14 Jahren Ungewissheit braucht es mehr als einen kurzen Anruf und eine Hintergrund-Information bei der Aussage, um die Dimensionen des NSU-Terrors verstehen zu können“, so Kowalska. Die Beratungsstelle B.U.D. fordert eine tiefgreifende
Veränderung der Ermittlungsbehörden hinsichtlich einer trauma- und diskriminierungssensiblen Arbeitspraxis.
Anders als beim verurteilten NSU-Unterstützer Carsten Schultze, der vor kurzem im Ausschuss unter außerordentlichen Sicherheitsvorkehrungen geladen wurde, fragte der Vorsitzende nach der Adresse des Überlebenden in öffentlicher Sitzung. Vorab erklärte der Vorsitzende gegenüber der Beratungsstelle B.U.D. dies nicht zu tun. Zwar wurde die ausweichende Antwort des Überlebenden – „nicht in Nürnberg“ – nicht weiter hinterfragt, jedoch zeigt auch dies den durchweg irritierenden, unsensiblen Umgang mit dem Überlebenden.
Trotz der schwierigen Befragung im Untersuchungsausschuss fand der Tag für Mehmet O. noch ein positives Ende: Bei einer Kundgebung für den Überlebenden am Maxmonument in Sichtweite des Landtags versammelten sich bereits am Mittag und erneut am Abend rund 30 Unterstützer*innen, um Mehmet O. ihre Solidarität zu zeigen und seine Forderung nach Anerkennung und Gerechtigkeit zu unterstützen.
Kontakt: B.U.D. Bayern, E-Mail: info@bud-bayern.de, Tel.: 0151-21653187